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Newsletter vom 27.11.2023

Nov. 27, 2023

Deichverteidigung verzichtbar / EU-Mission Label für Mannheim / Klima-Sachverständigenrat kritisiert Land


Liebe Freundinnen und Freunde des Waldparks,


auch heute haben wir wieder interessante Neuigkeiten für Euch:


  • Klare Ansage: Der gerichtlich bestellte Gutachter hält im Klageverfahren um den Polder bei Rheinstetten eine Deichverteidigung bei einem Damm mit statisch wirksamer Spundwand für nicht erforderlich.


  • Bekannte Masche: Das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe operiert auch bei seinen Planungen zum Polder in Rheinstetten mit unbewiesenen Behauptungen und unrealistischen Katastrophenszenarien.

  • Ambitionierte Ziele:  Die EU-Kommission verleiht der „EU-Modellstadt“ Mannheim für ihre Bemühungen um Klimaneutralität das Siegel „Mission Label“.

  • Harsche Kritik: Der Klima-Sachverständigenrat BW und der BUND Landesverband BW rügen die unzureichenden Maßnahmen des Landes zum Klimaschutz.

  • Leere Versprechen: Die Landesregierung Baden-Württemberg (BW) drischt bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts BW sowie ihrer Halbzeitbilanz zum Arten- und Naturschutz hohle Phrasen.


Vom VGH beauftragter Sachverständiger bestätigt: Deichverteidigung verzichtbar

Wie im Newsletter vom 01.10.2023 berichtet, wurden vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) BW aktuell zwei Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss zum geplanten Polder Bellenkopf/Rappenwört weiterverhandelt. Wesentlicher Streitpunkt sind die vom Land vorgesehenen ökologischen Flutungen des Polders, die die Stadt Rheinstetten und die BI Paminaraum ablehnen.


Darüber hinaus fordern die Klägerinnen statt eines neuen Erdbaudamms eine Spundwand als selbsttragendes statisches Ersatzsystem. Dass diese sicherer ist als die Erdbau-Variante, erklärte bei den Verhandlungen im November jetzt auch der vom VGH beauftragte Gutachter. Und zwar kein anderer als Dr. Andreas Bieberstein vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Anfang 2019 in einem Gutachten zum Rheindamm in Mannheim die vom RP Karlsruhe geplante Erdbauweise gutgeheißen hatte. Die Spundwand sei resilienter, also widerstandsfähiger, da sie „eine gewisse Überströmbarkeit“ möglich mache, sagte er nun vor dem VGH aus. (Sprich: sie ist selbst dann noch standsicher, wenn der Wasserstand über die Dammkrone steigt.)


Vor allem aber hält Bieberstein die – bei einem Erdbaudamm notwendige – Deichverteidigung im Fall einer statisch wirksamen Spundwand für nicht erforderlich, wenn diese richtig bemessen wurde. Auch die in BW wasser- und landseitig vom Damm grundsätzlich vorgesehenen, jeweils zehn Meter breiten baumfreien Zonen einschließlich baumfreien Deichschutzstreifen sieht er als verzichtbar an. Erstaunlich, denn 2019 hatte er in seinem Gutachten für das RP noch festgestellt, auch bei einer statisch wirksamen Dichtwand müsse „der Deichverteidigungsweg […] in jedem Fall nachweislich funktionsfähig bleiben“.


Vor dem VGH bestätigte Bieberstein damit die Position von Dr. Ronald Haselsteiner. Der von der Stadt Mannheim in Sachen Rheindamm beauftragte Deichexperte und Sachverständige für Geotechnik wurde in der Verhandlung – als Gutachter der Stadt Rheinstetten – ebenfalls befragt.


Sowohl Bieberstein als auch Haselsteiner sind der Auffassung, dass ein statisches Ersatzsystem keine Verteidigung braucht. Ein Unterhaltungsweg auf der Dammkrone reiche aus. Dies könnte auch im Verfahren zur Rheindammsanierung in Mannheim von Bedeutung sein. Denn die Deichverteidigung ist das Kernargument des RP für den geplanten Kahlschlag: Damit hierbei keine Bäume auf die Einsatzkräfte fallen, müsse es einen baumfreien Damm und baumfreie Zonen geben. Das Argument ist jedoch nicht stichhaltig: Laut Haselsteiner muss die Stadt ohnehin im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht dafür Sorge tragen, dass umstürzende Bäume keine Spaziergänger, Fahrradfahrer o.Ä. auf dem Damm gefährden– und das jederzeit, also nicht nur im Hochwasserfall. Dann dürften Einsatzkräfte an keiner Baumallee oder -reihe entlang öffentlicher Wege und Straßen mehr tätig werden.


Bekannte Masche des RP Karlsruhe

Die Gegenseite – das Land BW – trat vor dem VGH erneut in großer Besetzung auf. Das Wort führte überwiegend Armin Stelzer höchstpersönlich, der im RP Karlsruhe die Hochwasserschutz-Projekte in Rheinstetten und Mannheim verantwortet. Die abwegige Argumentation des RP kam uns sehr bekannt vor. Wie bei uns am Rheindamm hat die Behörde den Einbau einer statisch wirksamen Spundwand in den Damm als Sanierungsalternative erst gar nicht in die erforderliche Abwägung einbezogen. Obwohl diese Variante sicherer und zugleich erheblich naturschonender ist, hat das RP sie von vornherein verworfen – absurderweise insbesondere mit der Begründung, ein baumfreier Erdbaudamm biete höhere Sicherheit.


Wie bei uns am Rheindamm beschwört das Land sehr unwahrscheinliche Katastrophen-Situationen herauf, die Menschenleben gefährden würden. Aufgeführt wurde zum Beispiel das gleichzeitige Auftreten eines Extremhochwassers und einer Schiffskollision mit den Steuerungsbauwerken, die zum Ein- und Auslass von Rheinwasser in den Polder Bellenkopf/Rappenwört vorgesehen sind. Ein weiteres unrealistisches Szenario, mit dem das RP seine Fehlplanung vor dem VGH rechtfertigte: ein extremes Hochwasser in Kombination mit einer Verunreinigung des Rheins à la Chemieunfall Sandoz.


Auf das Urteil des VGH sind wir gespannt, auch wenn es für uns in Mannheim nur bedingt relevant sein könnte.


Rheindamm Mannheim: Verhandlungen von Stadt und Land dauern an

Dennoch warten sehr wahrscheinlich auch das RP Karlsruhe und die Stadt Mannheim das VGH-Urteil zum Polder in Rheinstetten ab, bevor sie über den nächsten Schritt im Planfeststellungsverfahren zum Rheindamm in Mannheim entscheiden. Die Verhandlungen mit dem Land seien noch nicht abgeschlossen, heißt es weiter vonseiten der Stadtverwaltung.


Zuletzt bekräftigte dies Prof. Dr. Diana Pretzell beim „Runden Tisch – Umweltverbände“ im Oktober, zu dem die Erste Bürgermeisterin und Umweltdezernentin auch unsere Initiative eingeladen hatte. Ein wesentlicher Tagesordnungspunkt war der Klimaschutzaktionsplan der Stadt. Dieser Plan sieht unter anderem vor, ab 2024 jährlich 1.000 Bäume in Mannheim zu pflanzen.


EU-Siegel für Mannheims Klimaaktivitäten

Als erste und bislang einzige Stadt in Deutschland erhielt Mannheim kürzlich das EU-Mission Label für intelligente und klimaneutrale Städte. Mit diesem Siegel honoriert die EU-Kommission deren Plan, bis 2030 klimaneutral zu werden. Wie die geplanten Maßnahmen finanziert werden und ob hierfür tatsächlich EU-Gelder fließen, ist dabei offen.


Unabhängig davon setzen wir darauf, dass sich die Stadtspitze durch diese Auszeichnung noch mehr verpflichtet fühlt, Tausende Bäume im Waldpark als wichtige Kohlenstoffspeicher zu erhalten. Eine so klimaschädliche Massenabholzung darf Mannheim als deutsche Pilotstadt für Klimaneutralität einfach nicht zulassen!


Harsche Kritik an der Landesregierung: Klimaschutz mangelt es an Konsequenz

Das Land BW hat seine Klimaschutzziele bislang verfehlt. Zu diesem Ergebnis gelangt der Klima-Sachverständigenrat der Landesregierung BW. In ihrer Stellungnahme zum Fortschritt des Klimaschutzes vom 30.09.2023 bemängeln die Experten die fehlende konsequente Umsetzung emissionsmindernder Maßnahmen in der Praxis. „Klimaschutz muss zukünftig Bestandteil jeglicher Entscheidung sein, so dass Aktivitäten, die dem Klimaschutz zuwiderlaufen, immer weniger werden“, fordern die Sachverständigen.


Entsprechend äußert sich der BUND Landesverband BW in einer Pressemittteilung vom 13.10.2023: „Die Landesregierung muss mehr tun und mehr Geld locker machen, um ihrer Verantwortung gegenüber uns und allen zukünftigen Generationen gerecht zu werden. […] Es ist enttäuschend, dass viele Lösungen bereits bekannt sind, aber politische Entscheidungsträger und die Verwaltung keine entscheidenden Schritte unternommen haben und viele Maßnahmen […] weder terminiert noch in ihrem Klimaeffekt quantifiziert sind.” Dem ist nach unserer Meinung nichts hinzuzufügen.


Viele Worte nichts dahinter: Wald-, Arten-, Natur- und Klimaschutz in BW

Den Klimaeffekt der geplanten Massenabholzungen für den Hochwasserschutz hat das Land BW bisher nicht berechnet. Den Plan, in Mannheim mehrere Hektar kostbaren Auwald zu roden, verfolgt es weiterhin stur und verantwortungslos. Zuletzt bestätigte dies (soweit uns bekannt) Forstminister Peter Hauk (CDU) in einem Antwortschreiben an eine Mannheimer Bürgerin vom 27.09.2023. Nach aktuellen Planungen, so der Minister, sollen weiterhin 7,8 Hektar Wald gerodet werden.


Vor diesem Hintergrund erscheinen die Aussagen Hauks bei der Veröffentlichung des Waldzustandsberichts 2023 wie hohle Phrasen. Angesichts der „besorgniserregenden Folgen des rasanten Klimawandels für unsere Wälder“ wolle das Land BW mit dem Notfallplan Wald und der Waldstrategie 2050 „die Wälder nachhaltig und zukunftsfest aufstellen“. Wie blanker Hohn wirken in diesem Zusammenhang zudem Hauks Äußerungen bei den Zweiten Baden-Württembergischen Waldtagen unter dem Motto „Gesunder Wald. Gesunde Menschen“, bei denen er „auf die Bedeutung der Wälder und ihren unschätzbaren Wert aufmerksam gemacht“ hat.


Auch die vermeintlich erfolgreiche Halbzeitbilanz der grün-schwarzen Landesregierung BW ist angesichts der natur- und klimaschädlichen Hochwasserschutz-Projekte unglaubwürdig. So finden sich hier Aussagen wie „Schritt für Schritt gestalten wir Baden-Württemberg klimaneutral und schützen unsere Natur“ oder „Wir tun alles, um die reiche Vielfalt unserer Natur zu bewahren“.


Noch hat die Natur keine eigenen Rechte

In Deutschland kann die Natur ihre Rechte nicht selbstständig einklagen. Über die Idee, sie als Rechtssubjekt anzuerkennen, also nicht länger als Objekt zu begreifen, hat kürzlich Stefanie Ball im Mannheimer Morgen den gelungenen Beitrag „Juristin will Rechte für die Natur“ veröffentlicht. Bislang ist dieser hochinteressante Ansatz hierzulande Theorie. Noch hat der Waldpark in Mannheim – ein besonders schützenswertes Ökosystem und auch wichtiger Klimaschutzwald – nach dem Gesetz keine eigenen Rechte. Daher kämpft unsere Initiative weiter für seinen Schutz und Erhalt!


Herzliche Grüße


Sabine Jinschek  Michael Detmer

Initiative Waldpark Mannheim e.V.


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